Beziehungen

Ein Bekannter – letzten Samstag – fragte mich an einem Fest: «Wie geht’s dir?». Ohne meine Antwort abzuwarten erzählt er mir, wie viel er zu tun hat, wie sein Chef es schätzt, dass er «die Festung» hält und als einziger im Lockdown 100% gearbeitet hat. Weiter erzählt er mir, dass er keine Angst vor der Zukunft habe, denn er sei finanziell abgesichert… ich höre ihm – anständig, wie ich bin – zu. Weil er mich kaum anschaut, bemerkt er auch nicht, wie meine Augen ab und zu abschweifen, zu den anderen Gästen hin, denn er hat jemanden gefunden der bleibt, zuhört. Irgendwann entschuldige ich mich und sage ihm, dass ich noch andere, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe, begrüssen möchte. Er bleibt ein Bekannter. Ich bleibe ein Bekannter von ihm.

Ein wenig später, am selben Fest, begrüsse ich einen anderen Bekannten: «Hallo ..., habe dich schon lange nicht mehr gesehen, schön, dass du auch da bist…». «Wie geht’s?» fragt er und ich erwidere: «Gut, danke und dir?» «Gut.» Dann sagt er zu mir: «Du bist auch zur rechten Zeit von deiner grossen Reise heimgekehrt. Ich habe eure Fotos per Whatsapp angeschaut.» Ich erzähle ihm ein wenig von unserer Rückkehr, er fragt nach, ich frage ihn wie sein Leben gerade aussieht, er erzählt ein wenig von seinem Haus, seiner Arbeitsstelle und dass er seine Masterarbeit veröffentlichen möchte. Dabei fragt er mich nach meinen Erfahrungen mit VerlegerInnen…

Das Gespräch geht hin und her, Gemeinsamkeiten, Erfahrungen werden ausgetauscht, wir stellen Fragen und bekommen eine Antwort, Beziehung wird aufgenommen. Es entsteht zwischen uns etwas wie ein Beziehungs-Spinnennetz, weil wir den Faden aufnehmen. Aus zwei Bekannten sind, für einen Augenblick wenigstens, Kollegen geworden.

Ich beschliesse, beim nächsten Zusammentreffen mit dem ersten Bekannten, mich nicht mehr zum Gesprächs-Opfer machen zu lassen, ohne ihn zu verletzen. Das braucht Mut und eine wohlwollende Grundhaltung. Ob ich das schaffe?

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